Montag, 26. Juli 2010

Öffentliche Erklärung der IGMetall und unsere Antwort

Öffentliche Erklärung
Kontakt zu den Unterzeichnern über:
dolinski-gottfried@t-online.de
An
Prof. Dr. Bodo Zeuner
stellvertretend für die Unterzeichner/innen
des Offenen Briefes vom 7.6.2010
In Kopie an die Kollegen:
Berthold Huber und Detlef Wetzel
Olivier Höbel
Jörg Hofmann
Johan Baur
Arno Hager
Lieber Bodo Zeuner,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach Solidaritätsbekundungen und eurem offenen Brief für konkurrierende Listen bei Daimler, möchten wir, aktive Metaller und Metallerinnen, mit diesem Brief aus unserer Berliner Sicht ei-nen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten.
Unsere Intention ist es nicht, den Konflikt bei Daimler in Berlin - Marienfelde umfassend zu be-werten, denn dafür fehlen uns detaillierte Informationen, die aus unserer Sicht wichtig sind, will man allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen bei Daimler gerecht werden. Wir halten aller-dings bedingungslose Solidaritätsbekundungen für konkurrierende Listen von gewerkschaftsna-hen Menschen aus Wissenschaft, Bildung, Medien, Rechtswesen und anderen Bereichen der Kulturproduktion, die den Konflikt bei Daimler vermutlich noch begrenzter als wir beurteilen kön-nen, für wenig hilfreich.
Der Offene Brief wirft für uns, die wir in unterschiedlichen Funktionen in Berliner Betrieben für eine aktive Gewerkschaftspolitik und Interessenvertretungspolitik stehen, viele Fragen auf, die wir zur Diskussion stellen.
Worum geht es aus unserer Sicht bei den Untersuchungsverfahren und was sind die Hinter-gründe?
Bei Daimler gab es wie vor jeder Betriebsratswahl eine ausführliche Diskussion zur Aufstellung der IG Metall Liste im Vertrauenskörper. Diese Diskussion war kontrovers und nach unseren Informationen diesmal auch geprägt von einem leider nicht immer sachorientierten Diskussions-stil in den IG Metall Gremien bei Daimler. Unstrittig für alle war, dass die unterschiedlichen Auf-fassungen von Vertrauensleuten selbstverständlich diskutiert und erörtert werden müssen und uns ist von beiden Listen nicht bekannt, dass dieser Grundsatz in Frage gestellt wird. In den Diskussionen vor der Wahl wurden bei Daimler die Vor- und Nachteile von Personen- oder Lis-tenwahl ausführlich und leidenschaftlich diskutiert.
Die Gegner der Personenwahl wurden mehrfach vom Vertrauenskörper und der VKL eingela-den, auf der IG Metall Liste mit zu kandidieren und sich genau wie alle anderen BR-Kandidat/innen der Diskussion um die Listenaufstellung zu stellen. Dies wurde abgelehnt.
Im Vertrauenskörper wurde letztendlich abgestimmt. Eine breite und eindeutige Mehrheit der Vertrauensleute hat sich für die Personenwahl ausgesprochen und demokratisch entschieden,
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dass die IG Metall mit einer Liste in die Betriebsratswahl geht und damit den Wählern Perso-nenwahl ermöglicht, die demokratischste aller Wahlformen.
Unsere Fragen:
- Wie steht ihr als Außenstehende – auch Professoren und Kulturschaffende- dazu, dass die von den Mitgliedern im Betrieb gewählten Vertrauensleute einen eindeutigen Be-schluss mit großer Mehrheit fassen? Darf man von außen ein „Modell BMW“ dagegen-setzen und den Kolleginnen und Kollegen vorsetzen und wenn ja, wer sollte dazu legi-timiert sein?
Die Metaller und Metallerinnen der konkurrierende Listen haben diesen demokratisch gefassten Beschluss, mit dem man nicht einverstanden sein muss, den man aber nach den Bestimmungen der IG Metall-Satzung und nach den Spielregeln gewerkschaftlicher Demokratie zu respektieren hat, nicht akzeptiert und sind mit einer eigenen Liste angetreten.
Unsere Fragen:
- Eine kämpferische IG Metall verlangt aus unserer Sicht auch eine Bindung und Diszip-lin nach innen. Was würde aus eurer Sicht folgen, wenn in Tarifrunden etc. die eigenen Beschlüsse trotz klarer Mehrheiten ad absurdum geführt würden?
- Wenn den „Konkurrierenden“ die Darstellung eines eigenen Profils auf einer gemein-samen Liste eingeräumt wurde, was rechtfertigt dann aus euer Sicht ein Verhalten, dass Beschlüsse ignorierte und ein einheitliches und geschlossenes Auftreten der IG Metall im Betrieb beschädigt (Vielfalt in der Einheit)?
Einige IG Metall Mitglieder von Daimler hat die Kritik an dem Vorgehen der Listenwahl-Entscheider dazu bewogen, ein Untersuchungsverfahren auf gewerkschaftsschädigendes Ver-halten zu beantragen. Der Sachverhalt wird also nunmehr aufgeklärt werden müssen. Warum löst das bei euch so große Besorgnisse aus? Vielleicht, weil eure Bewertung schon feststeht? Die IG Metall jedenfalls wird zunächst aufklären und erst dann bewerten.
Es handelt sich eben gerade nicht, wie in eurem Brief fälschlich dargestellt wird, um ein „Aus-schlussverfahren“. Die gegenseitigen Vorwürfe werden von einem Unabhängigen geprüft , diese Überprüfung präjudiziert noch kein Ergebnis. Wir wollen auch unseren Ärger und unsere Enttäu-schung darüber ausdrücken, dass wir uns von euch (der Begriff „Ausschlussverfahren“ weckt Emotionen) mehr Kenntnis über die Satzung der IG Metall gewünscht hätten, was die Chancen auf eine sachliche Diskussion in einem schwierigen Sachverhalt erhöht hätte.
Zur Klarstellung: Es sind also Mitglieder und Daimler-Kollegen, die sich nicht einverstanden zei-gen, mit der Missachtung des demokratisch gefassten Beschlusses ihres Vertrauenskörpers. Sie beantragen ein Recht aus der Satzung in Anspruch zu nehmen, dass jedem Mitglied zusteht.
Unsere Fragen:
- Weshalb bringt ihr die schwierige Situation bei Mercedes in Marienfelde in den Kontext eines „politischen Kurswechsel der IG Metall“ und bewertet ihn als ein „Rückfall in die 70er Jahre“?
- Ihr billigt den „konkurrierenden“ Listen ein ernsthaftes Anliegen zu, den Antragstellern auf das Untersuchungsverfahren anscheinend jedoch nicht. Welches Selbstverständ-nis leitet euch bei dieser Bewertung?
- Wieso teilt ihr die Selbstzuschreibung der „Alternativen“ als „eher konfliktbereite“, kämpferische Liste und unterstellt damit implizit dem weit überwiegenden Teil des VK, des Betriebsrats und den 1400 Berliner Daimler Beschäftigten, die die IG Metall Liste gewählt haben, sie würden sich nicht für eine entschiedene und kämpferische Interes-senarbeit einsetzen?
Die Unterzeichnenden treten für eine Versachlichung und Entdramatisierung ein. Wir treten da-für ein, dass die Auseinandersetzung bei Daimler nicht für persönliche Zwecke instrumentalisiert
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wird. Wir haben aufgrund unserer Informationen den Eindruck gewonnen, dass es im Kern nicht um eine neue Qualität kämpferischer Interessenvertretung geht.
Wir alle stehen im Betrieb in der Verantwortung und wissen, dass die Kategorien „konfliktorien-tiert und Co-Management“ in der betrieblichen Arbeit und bei Konflikten im Betrieb nicht hilfreich sind und die betriebliche Interessenvertretung wohl kaum so schlicht und unkomplex ist, dass man sie – so verlockend das für einige scheinen mag - in diesen Kategorien abbilden könnte. Gleichzeitig hinterfragen wir die selbst postulierte Definitionsmacht über Kategorien wie „links, kämpferisch und konfliktorientiert“ sowohl von der „konfliktbereiten“ Liste als auch von vermeint-lichen Unterstützern.
Unsere Fragen:
- Was ist kämpferische Gewerkschaftspolitik?
- Woran messen wir eine kämpferische und entschiedene Interessenvertretungspolitik, die in dem offenen Brief aus unserer Sicht unreflektiert und unbegründet den „Alterna-tiven“ zugestanden wird?
Wir glauben nicht, dass der Radikalitätsgrad der Forderungen, unabhängig von einem Ergebnis und der Durchsetzungsfähigkeit ein Messkriterium ist. Ebenso glauben wir nicht, dass die Be-harrlichkeit mit der die eigene Position, unabhängig von Mehrheitsentscheidungen vertreten wird, ein sinnvolles Messkriterium ist. Vielmehr scheinen uns Kriterien, die das Ergebnis von betrieblichen Auseinandersetzungen, die Beteiligung und Zustimmung der Beschäftigten und die Nachhaltigkeit der Ergebnisse berücksichtigen als sehr wichtig. Wir halten eine ernsthafte Aus-einandersetzung, die wir ja alltäglich in betrieblichen Konflikten alle erleben, mit der Durchset-zungsfähigkeit unserer Forderungen und einer starken Interessenvertretung für sehr sinnvoll.
Deshalb werben wir dafür, dass unsere Kolleginnen und Kollegen bei Daimler – und zwar alle - die Chance erhalten, ihren Konflikt mit Unterstützung unserer IG Metall konstruktiv zu lösen und dass die starke betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung bei Daimler, von der wir alle in der Vergangenheit in Tarifauseinandersetzungen und in vielen anderen betrieblichen und überbetrieblichen Auseinandersetzungen (Rente 67, Beschäftigungssicherung etc.), profitiert haben, nicht beschädigt wird.
Von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden, deren gewerkschaftsnahes Engagement wir sehr schätzen und die für die Gewerkschaften unverzichtbar sind, wünschen wir uns bezogen auf unsere Arbeit eine unvoreingenommene, differenzierte und kritische Diskussion. Eure Beiträge zur Frage, wie ein echter Kurswechsel der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hin zu einer gerechteren und solidarischen Gesellschaft erreicht werden kann, waren und sind uns wichtig. Deshalb war es uns wichtig, euren Brief kritisch zu hinterfragen.
Bei den vielen Fragen, die wir zur Diskussion stellen, ist aber für uns eines klar: Eine Schwä-chung der IG Metall im Betrieb und außerhalb des Betriebes wird uns dem Ziel nicht näher brin-gen - das zeigen alle historischen und aktuellen Erfahrungen.
Berlin, den 22.6.2010
Mit solidarischen Grüßen
Erstunterzeichner/innen:
Astrid Diebitsch, Betiebsratsvorsitzende NSN Berlin; Gottfried Dolinski, Betriebsratsvorsitzender Osram, Werk Berlin; Wolfgang Walter, Betriebsratsvorsitzender Siemens Messgerätewerk Berlin; Franz Plich, Betriebsratsvorsitzender Siemens Energy Service; Andreas Felgendreher, stv. Betriebsratsvorsitzender Osram, Werk Berlin; Bruno Rocker, Betriebsratsvorsitzender Schleicher Elek-tronic GmbH; Lennart Kunde, Betriebsratsvorsitzender Siemens Gasturbinenwerk Berlin; Iris Ziesche, Betriebsratsvorsitzende Stad-ler Pankow GmbH; Frank Mielchen, stv. Vertrauenskörperleiter Siemens Gasturbinenwerk Berlin, Jörg Fischer, Vertrauenskörperlei-ter Siemens Gasturbinenwerk Berlin; Uwe Dreesen, Betriebsratsvorsitzender Semperlux AG; Gerhard Lux, Betriebsratsvorsitzender Converteam GmbH Berlin Marienfelde, Martin Rüss, stv. Betriebsratsvorsitzender Converteam GmbH Berlin Marienfelde; Susanne Buchert, Vertrauenskörperleiterin Siemens Messgerätewerk Berlin; Wilfried Völker, Vertrauenskörperleitung Siemens Messgeräte-werk; Martin Krause, Betriebsratsvorsitzender Procter&Gamble Manufacturing Berlin; Ingo Kruse, Betriebsrat Procter&Gamble Ma-nufacturing Berlin; Michael-Jörg Kutz, Vertrauenskörperleiter Procter&Gamble Manufacturing Berlin; Ayse Harman, Betriebsrätin Procter&Gamble Manufacturing Berlin;
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An Gottfried Dolisnski
stellvertretend für die Unterzeichner/innen
der öffentlichen Erklärung vom 22.6.2010

In Kopie an die Kollegen:
Berthold Huber und Detlef Wetzel
Olivier Höbel
Arno Hager
Klaus Abel
Sowie weiteren Mitgliedern des Ortsvorstandes Berlin

Berlin, 17.7.2010


Unsere Antwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit Eurer öffentlichen Erklärung bezieht Ihr Stellung zu den Kontroversen um die Betriebsratswahl 2010 bei Daimler in Berlin-Marienfelde. Auch wir halten die gründliche Erörterung der in dem Brief aufgeworfenen Fragen für sinnvoll und notwendig.

Völlig über ein stimmen wir mit Eurem Anliegen, wenn Ihr schreibt:
“Deshalb werben wir dafür, dass unsere Kolleginnen und Kollegen bei Daimler – und zwar alle –- die Chance erhalten, ihren Konflikt mit Unterstützung unserer IG Metall konstruktiv zu lösen und dass die starke betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung bei Daimler, von der wir alle in der Vergangenheit in Tarifauseinandersetzungen und in vielen anderen betrieblichen und überbetrieblichen Auseinandersetzungen (Rente 67, Beschäftigungssicherung etc.), profitiert haben, nicht beschädigt wird.“

Um dies zu ermöglichen, schlagen wir vor:
Nach den Sommerschulferien, in der Zeit vom 23.8. bis 3.9.2010, organisieren wir gemeinsam eine Veranstaltung für IG Metall-Mitglieder in unserem Gewerkschaftshaus, zu der alle betroffenen und interessierten Kolleginnen und Kollegen eingeladen werden. Zu dieser internen IGM-Diskussion sollten wir selbstverständlich Bodo Zeuner und/oder weitere Unterzeichner des von Euch angesprochenen „Offenen Briefes“ einladen.

Es dient sicher auch Eurem Anliegen, wenn die Ergebnisse einer solchen Debatte in die Entscheidungsfindung des Ortsvorstandes einfließen. Wir bitten deren Mitglieder deshalb, erst nach einer solchen Veranstaltung zur Empfehlung der Untersuchungskommission Stellung zu nehmen.

Mit Kollegialen Grüßen

Günter Triebe (Mitglied Delegiertenversammlung IGM, Berlin), Klaus Murawski (VK-Leiter Firma Otis, Berlin)
Michael Hahn, Heinz-Werner Kruse, Claus-Jürgen Thiemig, Axel Fronczek, Uwe Langbein, Axel Aurich (alles BR-Mitglieder BMW, Berlin), Holger Schwabe (VK-Mitglied BMW, Berlin)
Hans Köbrich, Peter Vollmer, Rainer Knirsch (ehem. BR BMW, Berlin)
Dogan Börühan (BR Vorsitzender Ford Visteon, Berlin)
Fevzi Celikbas (BR Vorsitzender Hettich, Berlin)
Hüseyin Akyurt (VK-Leiter BSH, Berlin)
Hartmut Meyer (VK-Leiter Nokia Siemens Networks GmbH)
Markus Dahms (Vorsitzender BR IBM ND, Berlin), Jens Köpping, Angelika Exner, Eckhard Mauersberger, Siglinde Fischer, Oliver Brandt, Axel Uhlig (alle BR IBM ND, Berlin)
Peter Lohse (BR-Mitglied CNH, Berlin)
Felix Weitenhagen (BR-Mitglied Siemens Schaltwerk, Delegiertenversammlung IGM, Berlin)
Constanze Lindemann
Ges

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